Ein Jahr nach seinem Start zieht der Kasseler Demokratiezug eine beeindruckende Bilanz: Über 1.300 Gespräche über gesellschaftlichen Zusammenhalt wurden in dem mobilen Diskursraum geführt. Pünktlich zum Jubiläum wird das Projekt mit dem Nachhaltigkeitspreis 2025 der Evangelischen Bank für seinen Einsatz für freie Meinungsäußerung und demokratisches Miteinander ausgezeichnet und veröffentlicht eine Broschüre mit Erfahrungen und praktischer Anleitung, um die Idee auch an anderen Orten umzusetzen.
Über 1.300 Gespräche wurden in den ersten zwölf Monaten von Ehrenamtlichen im Demokratiezug geführt. Seit einem Jahr rollt der mobile Diskursraum der Initiative Platz nehmen für Demokratie in Kooperation mit der Kasseler Verkehrs-Gesellschaft und der Stadt Kassel unter der Schirmherrschaft von Oberbürgermeister Sven Schoeller inzwischen durch Kassel. Bei den über 50 Fahrten im letzten Jahr nutzten bereits Hunderte Menschen das niedrigschwellige Format, um über das gesellschaftliche Zusammenleben zu diskutieren und freie Meinungsäußerung ganz praktisch im Alltagsleben zu erfahren. Rund achtzig Menschen aus Stadt und Landkreis Kassel haben an Workshops des Projekts teilgenommen, um sich zu ehrenamtlichen Diskursbegleiter*innen ausbilden zu lassen. Dreißig von ihnen sind regelmäßig aktiv. Woche für Woche laden sie die Fahrgäste in der Straßenbahn zum Mitfahren, Zuhören und Mitreden ein. Pünktlich zum Jubiläum am 3. Oktober wurde der Demokratiezug mit dem 3. Platz des Nachhaltigkeitspreises 2025 der Evangelischen Bank ausgezeichnet. Die frisch verliehene Auszeichnung unterstreicht, dass das Projekt einen Nerv trifft. Unter dem Motto „Brücken bauen: Was unsere Gesellschaft zusammenhält“ würdigte die Jury den Demokratiezug als herausragendes Beispiel für gelebte Demokratie, das den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärkt.
„Der Nachhaltigkeitspreis ist für uns eine Bestätigung, dass das Bauen von Brücken im Kleinen – von Sitzplatz zu Sitzplatz in der Bahn – eine große gesellschaftliche Wirkung haben kann. Dieser Erfolg ist ein großer Ansporn. Wir müssen mehr Anlässe schaffen, bei denen wir einander offen begegnen können, Unterschiede aushalten und anerkennen und trotzdem miteinander in einen Austausch kommen“, so Mirko Zapp, Mit-Initiator von Platz nehmen für Demokratie und Geschäftsführer des Kulturzentrum Schlachthof.
„Die Geschichte des ersten Kasseler Demokratiezugs, der im vergangenen Jahr auf das Gleis der Straßenbahnlinie 1 gesetzt wurde, ist eine besondere Erfolgsgeschichte. Die Pluralität von Meinungen, die Bereitschaft, Augen und Ohren für die Position des anderen zu öffnen, sich damit zu befassen und eigene Positionen zu überdenken, nach gemeinsamen Kompromissen und Lösungen zu suchen: Das ist das Mark im Rückgrat der Demokratie“, so Oberbürgermeister Sven Schoeller.
„In Bussen, Bahnen und an Haltestellen begegnen sich Menschen aller Generationen, Herkunft und Lebensrealitäten. Gerade deshalb kommt Verkehrsunternehmen eine besondere Rolle zu: Sie gestalten nicht nur Wege, sondern auch Zusammenleben. Wir freuen uns, dass wir mit unserer Demokratietram einen Beitrag leisten können, um den Austausch über gesellschaftliche Themen anzuregen und demokratische Werte im Alltag erlebbar zu machen“, so Carsten Harkner, Vorstandsvorsitzender der Kasseler Verkehrs-Gesellschaft.
Verschiedene Meinungen, Blickwinkel und Erfahrungen sind für eine Demokratie unerlässlich. Gesellschaftliche Debatten nehmen viele Menschen jedoch als zunehmend angespannt wahr und haben Sorge, ihre Meinung öffentlich zu äußern. Auf diese Entwicklungen reagiert die im Frühjahr 2024 gegründete Initiative Platz nehmen für Demokratie und schafft Begegnungsräume, die dazu einladen, eigene Haltungen zu vertreten und andere Standpunkte ernst zu nehmen. Die Idee von Platz nehmen für Demokratie hat sich bereits an verschiedenen Orten in der Stadt Kassel verbreitet.
Ein großartiges Beispiel ist die Kooperation mit der Max-Eyth-Schule in Kassel. Hier haben sich Schüler*innen zusammengefunden, um den demokratischen Austausch mit ihren Mitschüler*innen zu fördern. Sie organisieren mit Unterstützung einer Lehrkraft die „Demokratie-Mittagspause“. Während andere Schüler*innen in die Pause strömen, bauen sie mit Stühlen kleine Diskursinseln in der Cafeteria auf und laden für eine halbe Stunde ihre Mitschüler*innen ein, mit ihnen zu diskutieren. Das Projekt in der Schule hat im letzten Schuljahr gestartet und geht nun bereits in die zweite Runde.
„Wir erleben in der Demokratie-Mittagspause hochmotivierte Schülerinnen und Schüler, die sich für ein respektvolles Miteinander engagieren. Es entstehen kontroverse, jedoch stets respektvolle Diskussionen, in denen demokratische Werte gelebt werden“, so Martin Köhler, Lehrer der Max-Eyth-Schule in Kassel.
Auch in der Arbeitswelt findet die Idee Anklang. Neben vielen anderen Unternehmen ist Volkswagen Teil des Netzwerks von Platz nehmen für Demokratie. Wie der Demokratiezug wurde auch das VW-Werks-Shuttle bereits zum rollenden Diskursraum, um den Dialog unter den Mitarbeitenden zu fördern. Der Volkswagen Standort in Kassel steht mit seiner Belegschaft, Management und Betriebsrat vereint, um die Werte einer weltoffenen, vielfältigen und starken Demokratie zu verteidigen:
„Demokratie lebt vom Dialog, gerade auch im Arbeitsalltag für unser Miteinander bei Volkswagen. Die Initiative hat uns inspiriert, den Austausch am Standort weiter zu fördern: mit einem festen Ort für Gespräche, sichtbar durch die Stühle auf dem neuen Platz der Demokratie und durch Gesprächsformate wie das Shuttle-Gespräch mit Werkleitung, Personalabteilung und Betriebsrat. So stärken wir das Miteinander, schaffen Raum für vielfältige Perspektiven und setzen unsere Konzerngrundsätze lebendig um“, teilen Betriebsrat und Management in einem gemeinsamen Statement mit.
Weitere Schulen und Unternehmen arbeiten bereits an eigenen Umsetzungsmöglichkeiten oder haben Interesse signalisiert.
„Demokratie ist kein Selbstläufer. Sie braucht Räume im Alltag, in denen wir Vielfalt erleben können und uns auf Augenhöhe von Mensch zu Mensch begegnen. Gerne unterstützen wir Interessierte in anderen Städten und Regionen dabei, die Idee weiterzutragen“, so Mirko Zapp, Geschäftsführer des Kulturzentrum Schlachthof.
Zum einjährigen Bestehen veröffentlicht Platz nehmen für Demokratie daher eine Broschüre, die Erfahrungen, Praxistipps und Anregungen bündelt, um zum Mitmachen und Nachahmen einzuladen. Das Projekt ist bereits mit Initiativen aus anderen Städten in Kontakt, um den Demokratiezug auch über Kassel hinaus auf die Schiene zu bringen.
Broschüre: “Kassels Demokratiezug - Einsteigen, Mitreden und Nachmachen”